Trauerkultur im Wandel

Vor einer Frauengruppe des deutschen Hausfrauenbundes halte ich einen Vortrag zum Wandel in der Bestattungs- und Trauerkultur.
Viele der Frauen sind Rentnerinnen, manche schon über 80 und sie erleben sich als Zeugen dieses Wandels. Eine klagende Stimmung erfüllt den Raum: so wie früher ist es nicht mehr!
Sie sind -oft an der Hand der Großmutter- wie selbstverständlich als Kind mit zum Friedhof gegangen und haben die dort liegenden Verwandten bepflanzt und begossen. Manche erinnern sich gern an dieses Ritual, an die Nähe der Großmutter, andere erinnern aber auch, dass sie sich gegruselt haben vor der Stimmung des Friedhofs. Wieder andere fanden’s einfach langweilig.
Um aus dieser klagenden Atmosphäre heraus zu kommen, vertrete ich die These, dass die Friedhofskultur schon immer durch Wandel gekennzeichnet ist, dass sich Trauersitten und Gebräuche stetig durch die Jahrhunderte verändert haben und fange an zu erzählen:
Von den Kirchhöfen mit ihrem begrenzten Platz rund um das Kirchgebäude in der Mitte des Ortes zur Zeit des Mittelalters. Von den Liegezeiten von 6 – 8 Jahren, dem Ausgraben der Gebeine um Platz zu schaffen: ungläubiges Kopfschütteln im Raum!
Doch als ich weiter erzählen, dass die Gebeine gewaschen wurden und ins Beinhaus kamen, da wird das Kopfschütteln zum Kopfnicken: ja, Beinhäuser kennen die Frauen: von Urlaubsbesichtigungen in Österreich, von Verwandten in Süddeutschland….
Ich erzähle weiter, dass z.Zt. Luthers zum Platzproblem auch noch das Hygieneproblem hinzukam, und die aufkommende Medizin-und Naturwissenschaft warnend ihre Stimme erhob, dass die Friedhöfe besser vor den Toren der Stadt anzusiedeln seien!
Und die Stadträte (Kommunen würden wir heute sagen) begannen vor den Toren der Stadt Äcker zu kaufen für die Bestattungen: der sogenannte „Gottesacker“! Was für ein Wandel also. Auch damals. Und wie immer in solchen Wandlungsprozessen gab’s Pro und Contra.

Auch Martin Luther wurde gefragt, was er denn vom Friedhof außerhalb der Stadtmauern hielte. Gehört nicht die Kirche als Mittelpunkt zum Friedhof unabdingbar dazu? Doch Luther sieht das pragmatischer: die Bestattung ist ja kein Sakrament, keine heilige Handlung und auch nicht heilsnotwendig, sondern ein „Werk der Barmherzigkeit“ (siehe Grabsteine erzählenVI) und deshalb „es sey einerlley, (…)“ob er ynn der Elbe odder ymm walde liege“. Vor allen Dingen räumt die Reformation ja mit dem Reliquienkult auf. Solange die Reliquien in den Altären angebetet und als heilig empfunden wurden, solange war es auch besonders wertvoll ganz in der Nähe dieser Reliquien bestattet zu sein. Standen die Reliquien doch für die Glaubenskraft derjenigen, die für ihren Glauben den Märtyrertod gestorben waren. Weil sie so tapfer gelitten und für ihren Glauben gestorben waren, hatten sie für den Tag der Wiederkunft Christi gewissermaßen ein vorrangiges Recht erworben, sofort in den Himmel aufsteigen zu dürfen. In ihrem Auferstehungs-Sog wollte man mit hinein genommen werden. Deshalb ließen sich Klerus und Adel das eine Menge kosten, in der Nähe des Altars bestattet zu sein!! Dieser Glaube spielte durch nach der Reformation in den evangelsihcen Landstrichen keine Rolle mehr!

Doch die Frage nach der Kirche in der Mitte des Friedhofs hatte schon ihre Berechtigung: Die Gottesäcker hatten keine Mitte. Weder eine bauliche, noch eine gestalterische, noch eine geistliche, noch eine religiöse. Da fehlte etwas. In diese Leere trat ab der Mitte des 18. Jahrhunderts die Landschaftsarchitektur, die aus England kam und zuerst den Adel zu herrlichen Parks inspirierte (Muskauer Park, Englischer Garten in München, Wörlitzer Gartenreich u.v.a.m.) und dann auch einzog in die Gestaltung der Friedhöfe. 1825 entstandt die programmatische Schrift von Johann Michael Voit (*1771 – t 1846): „Über….die Umwandlung der Gottesäcker in heitere Ruhegärten. Und das sind unsere Friedhöfe heute noch (bes. Ohlsdorf, der größte Parkfriedhof der Welt!) Seitdem gibt es die uns heute so selbstverständliche Vorstellung von der „Friedhofsruhe“. Diese besondere Ruhe gilt sowohl unseren Verstorbenen, als auch all denen, die über den Friedhof spazieren. Wer das gern tut, tut es genau wegen dieser besonderen Stimmung, dieses besonderen Ambientes des Friedhofs.

Im Saal der Hausfrauen ist es still geworden. Dass alles dem Wandel unterworfen ist und es keinen Stillstand gibt, auch nicht bei der Art und Weise wie wir unsere Toten bestatten und ihrer gedenken, das ist allen deutlich geworden. Die klagende Stimung ist vorbei: zögerlich werden Erfahrungen benannt, wo „das Neue“ eigentlich positiv war. Da haben Enkelkinder einen Sarg mit Blumen und Schmetterlingen bemalt. Da ist die Freundin unter ihrem Lieblingsbaum im Wald beerdigt worden. Da wurde auf der Trauerfeier für eine sehr geschätzte Gymnastik-und Tanzlehrerin sogar getanzt! Und das war stimmig! „Irgendwie“ sagt eine der alten Damen, „irgendwie hat dieser Wandel auch sein Gutes, Konventionen und Vorschriften nehmen ab. Irgendwie macht die Moderne, dass alles ehrlicher geworden ist. “ Dem kann ich mich nur anschließen.

 

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