Trauercafè im Februar zum Thema „Masken und Narren“. Die Kaffeetafel ist bunt geschmückt mit Pappnase, Masken, Krönchen und Luftschlangen. Sogar eine Cowboypistole ist dabei. Ich bin gespannt. Fasching und Karneval sind ja in Norddeutschland nicht so der Hit. Und überhaupt: wird jemand kommen? Es kommen ein älteres Ehepaar (beide über 80) und eine einzelne Dame so ungefähr in meinem Alter (Mitte 60). Die Tischdeko gefällt ihnen ausnehmend gut, und sie ahnen das Thema, aber erst einmal gehts in die Vorstellungsrunde.
Vorstellung der eigenen Person und des Trauerfalls, der sie ins Trauercafè geführt hat. Frau P. -die einzelne Dame- fängt nicht nur an, sondern auch gleich mit der Tür ins Haus: „Also gestorben ist bei mir Niemand. Und ich bin auch nicht traurig. Aber ich habe furchtbar schlecht geschlafen letzte Nacht. Mein Herz hat laut geklopft in der Brust und die Gedanken sind gekreist: wie lange werd ich wohl noch zu leben haben? Ich war sehr unruhig …die ganze Nacht….nein, das war nicht schön!“
Schnell sind wir mittendrin in einem tiefsinnnigen Gespräch über die eigene Endlichkeit und dass wir ihr manchmal unangenehm gewahr werden. Und das besonders nachts! Tagsüber im Alltag verschwenden wir keinen Gedanken an sie und leben fröhlich vor uns hin, als ob es den Tod nicht gäbe. „Eigentlich“, sagt Frau P., „eigentlich leben wir hinter Masken“. Damit schließt Frau P. diesen Gesprächsgang und bringt Tischdeko und ihre eigene Befindlichkeit treffend auf den Punkt. Ehepaar F. nickt, beide nicken. Ja, das kennen sie und setzen die Vorstellungsrunde fort: „Bei uns ist auch keiner gestorben“ sagen sie. (Na, denke ich, das kann ja heiter werden: Trauercafè ohne Trauerfälle!). Aber die beiden machen sich große Sorgen: wer von ihnen wird zuerst sterben und wer wird bleiben? Bleiben müssen? „Nein,“ sagt Herr F. bestimmt: „ohne meine Frau möchte ich nicht weiterleben. Wir sind jetzt 57 Jahr verheiratet. Haben viel miteinander durchgemacht. Alles gemeinsam.“ Und ich beginne zu verstehen, was einmal ihr Leben ausgemacht hat: großer Freundeskreis, tanzen und feiern, reisen um die -fast- ganze Welt, ehrenamtliches Engagement, all das geht nicht mehr. Die Kräfte sind schwach geworden und der Freudeskreis klein. Vor 2 Jahren starb ein jüngerer Bruder in Australien – der letzte Verwandte! Klein geworden ist ihre Welt, sie haben nur noch sich. Und auch bei ihnen spielt die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit eine große Rolle, denn ihnen ist klar: irgendwann wird einer von ihnen allein sein. Täglich ist da die bange Frage: wer von beiden wird übrig bleiben? Und auch ohne konkrete Trauerfälle, ohne Tränen und Herzschmerz sind wir mittendrin im Thema Abschied: Abschied vom eigenen Sein. Mein Anflug von Heiterkeit ist weg und ich merke: dies wird ein richtig intensives Trauercafè. Aber nun ist erstmal Kaffeee und Kuchen dran. Danach teilen wir Lebenserinnerungen und-erfahrungen:
- Die Luftschlangen auf dem Tisch erinnern an schöne, ausgelassene Feste. Ehepaar F. erzählt von der goldenen Hochzeit, Frau P. von einem Kinderfest, das sie ehrenamtlich unterstützt hat und bei dem sie noch mal so ausgelassen war wie ein Kind!
- das Krönchen erinnert an Zeiten, in denen es gut getan hat, hoch erhobenen Hauptes, mit geradem Rücken und stolzem, offenen Blick durchs Leben zu gehen. Ehepaar F. erzählt von den Herausforderungen der eigenen Kinderlosigkeit und dann der Entscheidung, ein Kind zu adoptieren. Das war nicht immer leicht, doch inzwischen haben Sohn und Schwiegertochter dem alten Ehepaar 3 wunderbare Enkelkinder beschert. Was sind die beiden stolz! Und mir fällt das alte Bibelwort ein: “ Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“ (Offb 2, 10b). Wenn Herr und Frau F. auf ihre Lebensbilanz zurückblicken, dann kommen sie sich vor wie gekrönte Häupter! Auch Frau P. kann einiges zu unserem Gespräch beitragen: viele Schicksalsschläge hat sie erlebt und ist immer wieder aufgestanden und hat hoch erhobenen Hauptes ihr Leben gemeistert. Sie hat genau das erlebt, was junge Eltern ihren Töchtern heute mitgeben als humorigen Rat: „Hinfallen. Aufstehen. Krönchen richten. Weitergehen.“ (unbekannter herkunft)
- Die Clownsnasen werden von allen aufgesetzt und sorgen für Heiterkeit, aber auch einen stillen Moment, denn Ehepaar F. genauso wie Frau P. bekennen traurig: so richtig herzhaft gelacht haben sie schon lange nicht mehr! Bitterkeit schwingt mit, als Herr F. sagt: “ im Alter hat man nichts zu lachen.“
- Die kleine Faschings-Pistole irritiert: wir sind uns einig in unserer Haltung für Frieden und gegen jedwede Gewalt. Und doch: manchmal braucht man ganz schön viel Stärke im Leben. Kleine Jungs fühlen sich beim Fasching als bewaffneter Räuber oder Cowboy ordentlich stark! Das tut gut! Und Frau P. gibt ehrlich zu, sich so manches Mal im Leben hinter einer Maske der Stärke versteckt zu haben. Bei Gehaltsverhandlungen mit ihrem Chef zum Beispiel. Damit konnte sie die zittrigen Knie gut verbergen. Und mir fällt meine Dienstkleidung ein: ich trage Hamburger Ornat. Auch so ein Versteck des privaten „Ich“ mit seinen Gefühlen hinter einer amtlichen Rolle.
Zum Schluss sind wir alle ganz erfüllt und erstaunt, was so ein bunter Faschingstisch doch an ernstem und intensivem Gespräch hervor locken kann! Und das alles ohne Trauerfall!! Aber mit der Bereitschaft, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinander zu setzen – und gerade das ist ja ein wesentlicher Teil von Trauerkultur. Alle 3 bekommen eine rote Clownsnase geschenkt mit dem Hinweis, sie neben dem Zahnputzbecher auf der Badkonsole aufzubewahren und morgens beim Zähne putzen aufzusetzen, damit der Tag fröhlich anfangen kann! Jetzt müssen doch alle herzhaft lachen!!
Kommentare zum Beitrag
Stefan Stapel
am 13. März 2020 um 14:03 Uhr
Liebe Frau Pastorin Erler,
liebe Leserinnen und Leser,
Ihre Berichte aus dem Trauercafé finde ich immer interessant, denn sie zeigen mir, dass Menschen aus verschiedenen Gründen daran teilnehmen können.
Auch ich hatte keinen aktuellen Trauerfall, als ich 2019 daran teilnahm.
Ich dachte über den Tod meiner Großmutter und meines Vaters nach, und darüber, dass meine Mutter im Jahr 2020 80 Jahre alt wird und zu merken ist, dass sie Vieles nicht mehr so kann wie in jüngeren Jahren.
Ich war besorgt und dachte auch an meine eigene Endlichkeit.
Ich finde es schön, dass Sie auch Menschen willkommen heißen, die keinen aktuellen Trauerfall haben.
Das Besondere fand ich, waren die Bibelzitate und Gebete beim Trauercafé von Ihnen.
Ich dachte über die Arbeit einer Pastorin nach.
Mein Empfinden ist, Geistliche stehen für die christliche Botschaft, auch in dem Wissen, dass sie nicht jeden Menschen erreicht oder anspricht.
Vielleicht gibt es dabei ja auch Momente, wo es für eine Pastorin schwierig wird und sie ihre Aufgabe als nicht immer dankbar empfindet.
Möglicherweise gibt es auch deswegen so viele verschiedene Kirchen und Arten, die christliche Botschaft an die Menschen zu bringen.
Auf Bibel TV gibt es so viele verschiedene Predigerinnen und Prediger mit verschiedener Mentalität.
Manches, das ich im Fernsehen sah, fand ich auch amüsant, besonders bei Sendungen aus den USA.
Ich glaube „Victory Today“ hieß in den 90er Jahren die Sendung von dem mexikanischen Einwanderer Morris Cerullo, die oft auf Tele 5 lief.
Soetwas hatte ich damals noch nicht gesehen.
Heilungen am laufenden Band auf der Bühne, sogar aus Rollstühlen standen Menschen auf und tanzten auf der Bühne!
Ich dachte, er heilt ja wie vielleicht Jesus zu seinen besten Zeiten (Gott möge mir den scherzhaft gemeinten Vergleich bitte verzeihen!).
Das Publikum sang wie in Trance dabei, sie schienen mir glücklich, und ich glaube, sie wussten selbst, dass es sich hier um eine Wohlfühl-Show handelte, die sie sehen wollten, denn sie hatten ja Eintritt dafür bezahlt.
Aber warum nicht, wenn es gut tut und die Leute gestärkt aus dem Saal gehen?
Die Mentalitäten sind halt verschieden.
Schade, dass die Show heute nicht mehr läuft, ich gucke aber manchmal im Internet ein bisschen herein, es heitert mich einfach auf.
Aber es ist gut, dass es auch die besinnlichen Gottesdienste und Trauerveranstaltungen der beiden großen Kirchen gibt, denke ich.
Sie passen eher zur mitteleuropäischen Mentalität, ist mein Eindruck.
Mal sehen, wie und ob sich das in der Zukunft verändert.
Danke für Ihr Lesen, alles Gute und freundliche Grüße!
Stefan Stapel