Spurensuche I

 

Frau S. schreibt in gebrochenem Deutsch aus Frankreich. Ihr Großvater soll in HH-Öjendorf „arm und einsam“ bestattet worden sein. Ob ich helfen könnte. Sie würde gern mehr erfahren und sein Grab besuchen. Dass seine Freundin damals schwanger war soll er nie erfahren haben und ihr Vater ist als Baby zur Adoption freigegeben worden. Sie hat schon eine ordentlich komplizierte Spurensuche in Frankreich hinter sich. Der Friedhofsleiter findet das Grab in den Akten, in der Realität ist es schon seit 2001 abgelaufen.
Wir treffen uns an einem frischen Frühlingsnachmittag mit verhaltenem Sonnenschein und viel Wind. Ich habe den Beziehungspfad „Fremde Nähe“ ausgesucht und erkläre ihr und ihrem Lebensgefährten, dass dieser Weg als Abschiedsweg für all die Menschen entstanden ist, die -aus was für Gründen auch immer- ebenso kein individuelles Grab zum Besuchen haben. Sie ist also nicht allein.
Wir starten am Findling „Vater“ mit einem kleinen Abschiedritual. Sie hat ein Gedicht auf Französisch mitgebracht. Sie liest und lässt ihren Tränen freien Lauf.
„Ist es erlaubt, etwas zu verbrennen?“ fragt sie mich; wohl wissend, dass in Deutschland Vieles geregelt bzw. auch verboten ist. Ich habe keine Ahnung und es ist mir egal: Briefe und Zeichnungen, die sie mitgebracht hat, verbrennen wir in einer kleinen Blechschale.
Der Wind weht die Asche in die Lüfte und das fühlt sich gut an.
Wir spazieren den Weg kreuz und quer, von Findling zu Findling, entlang, gehen vom Vater zur Mutter zum Freund und zur Freundin und kommen an dem Gemeinschaftsgrabstein von Ricarda Wyrwol an: „Zukunft braucht Erinnerung“. Und ich spüre es ganz deutlich: dieses junge Paar hat ein Stück Zukunft gewonnen im gemeinsamen Erinnern an den unbekannten Großvater.

Kommentare zum Beitrag

Stefan Stapel
am 28. Oktober 2019 um 09:28 Uhr

Sehr geehrte Frau Pastorin Erler,
liebe Leserinnen und Leser,

ich empfinde die Erfahrungen, die Sie in Ihrer Tätigkeit als Pastorin für Trauerkultur schildern, bewegend und interessant.

Sie zeigen mir, wie wichtig es für jemanden sein kann, sich von einem Menschen, zu dem er in seinem Leben eine wie auch immer bestehende Beziehung hatte, an seinem Grab zu verabschieden.

Aus einer Fernsehserie („Kung Fu“), die sich mit fernöstlicher Philosophie beschäftigt, hat mich dazu folgender Text so angesprochen, dass ich ihn mitgeschrieben habe:

„Die Gegenwart hat ihre Wurzeln in der Vergangenheit. Aus diesen Wurzeln ziehen wir Kraft und Stärke.

Je tiefer die Wurzeln in die Erde reichen, umso stärker der Baum.

Entdecke das Band, das zurückreicht in die Vergangenheit und Dich verknüpft mit der Zukunft, um für immer Deinen Platz zu finden in der Ewigkeit.“

Viele gute Wünsche und Grüße!

Ihr

Stefan Stapel

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