Predigt 1.6: Vom Drama der menschlichen Existenz

Die Verse 4b -10 + 15 aus dem 2. Kapitel des 1. Buch Mose (oder auch Genesis) führen mich zurück an den Anfang aller Zeit….an den Anfang allen Seins….zurück zum Ursprung allen Lebens. Und nicht nur das: sie  führen mich auch mitten hinein in das Drama aller menschlichen Existenz hier und heute. „Zu der Zeit als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte!“ mit diesen Worten werden meine Gedanken an den Anfang aller Anfänge geführt. In einem mythischen Bild wird erzählt wie Gott, der Schöpfer, uns und unsere Mitwelt erschafft.

Wie ein kleiner Junge -oder ein kleines Mädchen- im Sandkasten, so kommt Gott mir vor: aus Erde und feuchtem Nebel macht er so eine Art Backermatsch und formt aus diesem Erdenkloß den Menschen. Damit ist unsere irdische Verhaftung hier in dieser Welt beschrieben. Unsere Vergänglichkeit auch, unsere Teilhabe an Natur und allen natürlichen Vorgängen des Materie-Seins. Bis heute sagen wir bei der christlichen Bestattung: „Erde zu Erde,……“.

Doch der Baumeister des Lebens in der Ursandkiste vor aller Zeit ist noch nicht fertig mit dem Lehmkloß „Mensch“: „und er bließ ihm den Atem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“   Zur irdischen Seite unseres Daseins kommt der lebendige Atem Gottes hinzu. Unabdingbar ist der Mensch immer auch geistiges und geistliches, d.h. spirituelles Wesen.  Und zwischen diesen beiden Polen -Materie + Geist- spielt sich auch heute noch das Drama unserer Existenz ab. Deshalb führt uns dieser Mythos nicht nur zurück an den Anfang aller Zeit, sondern auch und vor allen Dingen führt er uns mitten hinein in unser Leben hier und heute!

Als Bild vom menschlichen Dasein überhaupt entfaltet dieser Mythos seine Kraft und hilft mir, so manches über mich und den Menschen an sich zu verstehen. Zu allererst: wir sind die Empfangenden! Gott bläst seinen Atem in uns hinein, wir müssen nichts tun! Lebendigkeit, Fantasie, Musik, Schönheit, Poesie, alles, was das Leben reich macht, ist uns geschenkt. In Gott sind wir lebendig, es ist sein Atem, der in uns atmet. Von ihm her empfangen wir das Leben und das ist auch schon sein Sinn: es als Geschenk zu verstehen, zu empfangen, anzunehmen und zu würdigen!

Geboren werden ist ein Geschenk, das wir nur empfangen können. Keine und keiner von uns hat sich selbst zur Welt gebracht!  Weil Gott uns anhaucht, können wir staunen über das Wunder des Lebens, können wir trunken werden vor Begeisterung! Seien es das zarte Grün des Frühlings oder die strenge Kargheit des klirrenden Winters, seien es der Duft des Spätsommers oder die Farben des Herbstes, seien es Sonnenstrahlen auf den Spinnennetzen im Morgentau oder salzig-duftende Meereswellen: dieses sinnliche Erfahren der Schöpfung gelingt nur, weil Gott uns dazu befähigt mit seinem Atem!

Und: Gottes Atem gibt jedem und jeder von uns sein ureigenes Wesen, seine bzw. ihre Individualität! Lehmklöße sind wir alle – erst der Atem Gottes macht uns zu unverwechselbaren, einmaligen, originellen Individuen.

Doch: wir bleiben immer auch Erdklöße. Immer wieder erleben wir auch dies: wir fühlen uns geistlos, stumpf, gereizt, wie ein Rädchen im Getriebe, ausgelaugt und ausgebrannt; wie ein Blatt im Wind nur, ausgeliefert den Stürmen des Lebens. Unsere Sprache ist verräterisch. Sie verrät, wie nah wir dran sind am Irdischen:   wir schlafen wie ein Stein,    saufen wie ein Loch,    schweigen wie ein Grab,   zittern wie Espenlaub,      brüllen wie ein Stier,     sind dumm wie Bohnenstroh.

Gott sei dank, dass Gott uns Lehmklöße  beatmet, dass er uns inspiriert mit seinem Atem! Er trichtert uns  gute Gedanken ein, verschafft uns freudige Erregung, freundschaftliche Gefühle und Teamgeist. Er macht, dass wir staunen: über Kinder, die uns geboren werden und hineinwachsen in eine Zukunft, die uns oft bedrohlich und düster erscheint. Doch die Geistkraft Gottes gibt nicht nur Staunen und Begeisterung, sie gibt uns auch einen Auftrag, pflanzt uns eine Verantwortung ins Herz. „Und Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Wir dürfen die Erde nutzen und bebauen – aber so, dass wir sie dabei auch bewahren! Ausbeutung und Raubbau an Natur und Mitwelt soll nach Gottes Willen nicht sein. Gottes lebendig machender Atem mutet dem tumben Erdenkloß „Mensch“ einiges zu! Mit unserer geistigen und geistlichen Dimension können (und sollen) wir uns bemühen, dem Willen Gottes für seine Schöpfung auf die Spur zu kommen! Der Atem Gottes in uns will uns in ein Gott gemäßes Leben locken. Doch wir können dieser Verlockung auch widerstehen. Wir können ebenso dem Irdischen, Vergänglichen, Materiellen in uns den Vorzug geben. Und mir scheint, genau das passiert! Der Erdenkloß in uns triumphiert.

Wir scheren uns wenig um die Zukunft dieses Planeten, um die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Da musste erst Greta Thunberg kommen und uns wach rütteln: „How dare you?!…“ Die Jugendbewegung „Fridays for Future“ legt den Finger in eine Wunde, um die wir eigentlich schon lange wissen: unser Lebenstil und-standard verbraucht mehr Rohstoffe als nachwachsen. Wir leben vom Kapital zukünftiger Generation. Sehen einem ungeheuren Niedergang in der Artenvielfalt tatenlos zu. Schon lange warnen ja Wissenshcaftler, Zukunftsforscher und Klimaexperten. Die Politik scheint unbelehrbar und auch wir wissen zwar, dass wir umkehren müssen, doch was tue ich für diese Umkehr wirklich? Ich weiß ja die Schritte hin zu einer nachhaltigeren zukunftsfähigen Entwicklung! Warum gehe ich sie nicht? Noch schwirrt der veraltete Begriff von den sog. Entwicklungsländern in meinem Hinterkopf herum, doch Entwicklung brauchen vor allen Dingen wir, die reichen Länder der westlichen Welt! Wir müssen neue Wege des Verbrauchens und Bewahrens, des Teilens und der Gerechtigkeit gehen, wenn zukünftige Generationen auf diesem Planeten eine Chance haben sollen.

Unüberhörbar protestiert die sog. Umwelt und macht deutlich, was sie eigentlich ist: unsere Mitwelt! In ihr atmet derselbe Atem Gottes wie in uns! Und dieser lebendige Atem in uns und der ganzen Schöpfung seufzst und ächzt und stöhnt schon lange angesichts von Plastikmüll und Erderwärmung und jetzt kriegen wir diese Seufzer in Form von Wetterkapriolen heftig zu spüren: Eisberge und Gletscher schmelzen, der Wasserspiegel steigt, Überschwemmungen nehmen genauso zu wie Dürrekatastrophen und Hurricane. Wir sind mittendrin in diesem Drama und müssen neu lernen auf Gottes Geist zu hören und eine neue Schöpfungs-Ethik entwickeln. Wir leben in entscheidenden Zeiten: entweder….oder! Werden wir weitermachen wie bisher?….oder schaffen wir entscheidende Veränderungen? Werden wir offen und neugierig Neues wagen und eingefahrene Geleise verlassen oder werden wir lieber beharrlich und zäh am erreichten Wohlstand festhalten?

Der Erdkloß mag in der Lage sein, nur vom Wohlstand zu leben. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein! Denn wir sind eben nicht nur Lehmkloß, sondern in uns lebt eine von Gott beatmete Seele. Und die will mehr!! Die will gutes Leben für alle! Die will Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit, Mitmenschlichkeit und Partizipation für alle, Inklusion und Teilhabe! Denn die ist ausgerichtet hin auf Gott, weil sie von ihm her kommt. Weil sie von seinem Geist durchwirkt ist. Amen

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