Frohe Weihnachten wünsche ich allen Lesern und Leserinnen mit einer Predigt vom letzten Jahreswechsel! Und natürlich einen guten Rutsch…..!Wir sind am Ende des Jahres angekommen. Und doch: das Neue scheint noch weit entfernt. Eigentlich ist das Neue fast schon greifbar?!
Nur eine Schwelle noch, dann sind wir drüben. Schwellen sind in unserem Leben immer schwierige Zeiten. Unsere Sprache ist verräterisch: nicht umsonst reden wir von „Schwellenangst“.
„Schwellenfreude“ kennen wir nicht. Höchstens dieses heitere Bild, dass der Bräutigam die Braut über die Schwelle trägt. Aber vielleicht ist dahinter sogar eine doppelte Angst verborgen: seine Angst, dass die Geliebte aufgrund von ihrer Angst vor dem Unbekannten noch schnell einen Rückzieher macht!
Dann lieber beherzt zugreifen und die Braut schnell über die Schwelle tragen! So eine Schwelle zwischen den Türrahmen ist ja auch immer ein bisschen erhöht und dadurch eine Stolperfalle. Und das wollen wir auch nicht: ins neue Jahr hineinstolpern. Es ist also gar nicht so leicht von hier nach da zu kommen, obwohl die Tür doch weit auf steht: das neue Jahr kommt unweigerlich!
Deshalb wohl ist das was wir einander wünschen -schon seit ein paar Tagen- dieser Satz: „Komm gut rein“ Und ab Morgen werden wir gefragt: „Na, gut reingekommen?“ Scheint schwierig zu sein ….mit dieser Schwelle.
Ich erinnere mich an einen alten Herrn aus meiner früheren Gemeinde in Barsbüttel -er war damals schon über 80- der antwortete auf meinen gutgemeinten Wunsch „Kommen Sie gut rein ins neue Jahr“: „Ach, Frau Pastorin, rein zu kommen ist doch nicht das Problem, aber wie komm ich wieder raus? Bzw. in meinem Alter: komm ich aus diesem neuen Jahr überhaupt wieder raus?“
Ja, das macht wohl die Schwelle so schwer, dass sich das ganze leere, vor einem liegende Jahr mit Fragen und Vorstellungen füllt:
- Werde ich gesund und munter wieder aus diesem Jahr rauskommen?
- Wird die Groko noch Bestand haben übers Jahr hinaus? Angela Merkel noch Kanzlerin sein?
- Wie werden sich die Kriegs- und Krisengebiete dieser Welt entwickeln mit der teils verheerenden, teils unberechenbaren Politik von Donald Trump??
- Wie wird Europa sein nach dem Brexit?
- Wird es wirtschaftlich weiter gut gehen?
- Wo und wie werden die nächsten Naturkatastrophen zuschlagen? Vielleicht auch mal bei uns – denn bis jetzt davongekommenen?
- Wird mein Sohn seine erste Stelle nach dem Studium finden und mein Portemonnaie endlich entlastet?
- Wird die Beziehung mit seiner Freundin das Jahr gut überstehen und sich festigen?
- Und wird meine Mutter gut in ihr 89. Lebensjahr hineinkommen?
Verglichen mit all den Unsicherheiten und Fragen vom kleinen persönlichen Leben bis hin zur großen Weltpolitik, wiegt das Reinkommen ins neue Jahr wirklich wie ein „guter Rutsch“: Zack und man ist drin!! Vielleicht sogar schlafenderweise! Und doch raubt der Übergang über diese Schwelle
uns Kraft.
Erinnerungen an andere Übergänge in meinem Leben steigen in mir auf…Zeiten, die Kraft kosten in einem Menschenleben (bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger):
- Die Jahre der Pubertät, wenn Jugendliche keine Kinder mehr sind, aber auch noch keine Erwachsenen.
- Zeiten der Schwangerschaft, wenn das Kind noch nicht geboren ist, und doch schon da ist mit seinen Tritt- und Boxbewegungen.
- Zeiten der „midlife-crisis“ bei Männern oder der Wechseljahre bei Frauen….
- Oder: in Rente gehen, auch so eine Zeit des Übergangs
- Umzüge von einem Ort zum Anderen,
Trennungen, Wechsel im Beruf, Abschiede, all das sind Schwellenzeiten.
Der alte Zustand ist verlassen, der neue noch nicht erreicht und gefestigt. In diesen Zeiten sind viele von uns dünnhäutiger, anfälliger, verletzlicher:
- Am Übergang vom Tag zur Nacht, in der Abenddämmerung, geschehen häufiger Unfälle.
- Am Übergang von Nacht zum Tag, ungefähr um 4 Uhr morgens, kommt es zu den meisten Krisen bei Krankheiten.
Es gibt einen ganzen Reigen an abergläubischen Volksbräuchen, die versuchen, die Lebensschwellen ein bisschen begehbarer zu machen:
(und unsere Silvesterknallerein ist auch nur einer davon) Da werden Geldstücke unter Türschwellen vergraben, um Glück und immerwährendes gutes Auskommen zu sichern. Da werden Türschwellen in bestimmten Farben angemalt, damit böse Geister nicht hinüberfinden.
Auf alten Friedhöfen -oft in Gestalt des Kirchhofes rund um die Kirche- gibt es den sog. „Knochen-brecher“ einen Metallrost im Boden, damit die toten Gerippe nicht ihren Ort verlassen können beim mittelalterlichen Totentanz! Das alles ist lange her und nur noch mystisch und mythisch in unsrer Kultur vorhanden und doch zeigt es mir, dass Schwellen nicht ohne sind: nicht ohne Gefahr – aber auch nicht ohne Verheißung.
Deshalb üben wir das Loslassen, heute hier vor Gottes Angesicht, das Loslassen des alten Jahres und bitten ihn um seinen Segen für das neue Jahr.Wir stehen auf dieser Schwelle nicht allein. Jesus Christus steht neben uns…vor uns…steht uns bei mit seinem Zuruf:
„Fürchtet euch nicht. Habt keine Angst. Vertraut auf Gott und vertraut auf mich. Ich geh euch voran ins neue Jahr, um einen Patz für euch bereitzumachen. Auch wenn ihr den Weg nicht kennt und viele Fragen habt: vertraut! Und geht: Denn ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“
Nach vorn gezogen von diesem Zuspruch, schauen wir zurück auf das, was war. Schönes haben wir erlebt……gute Begegnungen……. bereichernde Erfahrungen……….erfüllte Zeiten. Es gab aber auch Schweres: liebloses aneinander vorbei leben…Krankheit…..Trennungen….schmerzliche Abschiede….. Scheitern.
Auch wenn wir das Jahr 2018 zurückgeben in Gottes Hand, zurückgeben müssen, weil es unter Gottes weitem Himmel keinen Stillstand gibt, so lassen wir doch nicht nur los, sondern wir nehmen auch mit. Ganz viel nehmen wir mit. Wir können nicht einfach einen Schnitt machen, abschneiden, was wir gern loswerden wollen…..Manches gehört so fest zu uns, das können wir kaum loslassen. Prägungen haben uns zu dem gemacht, was wir jetzt sind und davon wird viel bleiben. Vielleicht gibt es so eine Sehnsucht nach völliger Erneuerung…..dass alles anders wird im neuen Jahr: endlich.!!….
……den Wunsch, Altes und Gewesenes abstreifen zu können….sich häuten zu können wie ein Schlange….doch es ist auch menschliche Erfahrung, dass man sich selbst immer mit nimmt in das Neue hinein: in den neuen Beruf….die neue Stadt….die neue Partnerschaft….und auch ins neue Jahr (!) und entdeckt, dass die alten Muster immer noch greifen und mancher Konflikt einem bekannt vorkommt.
Und doch bereitet Jesus Christus neue Räume für uns vor und wir können sie betreten mit der Hoffnung, dass Dinge und Situationen sich wandeln können, dass nicht alles so bleiben muss wie es war. Es kann wieder gut werden, nur eben anders gut:
- Trauer kann sich in dankbare Erinnerung wandeln, die man nicht missen möchte!
- Bohrender Schmerz kann sich in stille Traurigkeit wandeln, mit der man leben kann.
- Resignation kann sich wandeln und neuer Aktivität Platz machen.
- Bitterkeit kann sich wandeln hin zu tieferer Einfühlung in Andere und so zu mehr Herzenswärme führen
Es geht nichts verloren aus dem alten Jahr, loslassen ist kein abschneiden, aber ein Vertrauen auf Wandlungsmöglichkeiten, manches wächst durch den Wandel, wird gereinigt und glänzt in einem neuen Licht. Wir geben Gott zurück, was seins ist: jede Stunde, jeden Tag unseres Lebens und wir vertrauen: sie sind bei Gott gut aufgehoben.
Nichts geht verloren und doch wird alles neu. Amen.
Predigt vom Jahresschlussgottesdienst 2018
31. Dezember 16.00 Uhr Philippuskirche
Kommentare zum Beitrag
Stefan Stapel
am 1. Januar 2020 um 12:01 Uhr
Liebe Frau Pastorin Erler,
liebe Leserinnen und Leser,
eine schöne Predigt, finde ich, zu der ich nichts hinzufügen kann, weil sie aus meiner Sicht alle Gedanken beschreibt, die bei mir mit dem Jahreswechsel verbunden sein können.
Vielen Dank für den hilfreichen Text und Ihnen allen ein frohes, gesundes und erfolgreiches neues Jahr!
Freundliche Grüße
Stefan Stapel