Grabsteine erzählen 2.0 oder: von Segelbooten, Kuttern und anderen Schiffen

Auch Schiffe finden sich auf vielen Grabsteinen. Ganz unterschiedliche: dort ein großer Dreimaster, hier ein kleiner Kutter, dort ein Freizeit-Segelboot, hier ein richtiger Dampfer….. ….und manchmal liegt ein kleines Ruderboot am Steg im Schilf. Ich muss an die Seebestattung denken, die sich heutzutage außerordentlicher Beliebtheit erfreut: ich habe Menschen bei ihrer Seebestattung begleitet, die ich im Leben als  „Landratten“ kannte. Sie hatten rein gar nichts mit Meer, Wasser oder Seefahrt zu tun. Auch die Familien traf der letzte Wunsch wie aus heiterem Himmel: ich möchte eine Seebestattung. Und nun hier, an Land, auf einem ganz traditionellen Friedhof: Grabsteine mit Schiffen, dem Symbol von Weite und Reisen und endlosen Wellen bis an den Horizont! Ob die dort liegenden Verstorbenen was mit Schifffahrt zu tun hatten? (Ich lernte mal einen stolzen Kapitän kennen und auf mein Nachfragen, wie das denn so ist, monatelang unterwegs, antwortete er: wieso, ich bin doch jeden Abend zuhaus, ich fahre einen Alsterdampfer!)  Alster und Elbe sind für einen richtigen Hanseaten, eine echte Hamburgerin wohl Grund genug, sich der Schifffahrt verbunden zu fühlen – bis in die Grabgestaltung hinein. Ob ich in Süddeutschland auch so viele Schiffe auf Grabsteinen finden würde?

Doch traditionell ist das Schiff auch Symbol für die Kirche! Nicht umsonst sprechen wir schon architektonisch vom Kirchenschiff, vom Mittel- oder Seitenschiff. Und in den christlichen Gottesdiensten wird davon gesungen: „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit. Das Ziel, das ihm die Richtung weist, heißt Gottes Ewigkeit. Das Schiff, es fährt vom Sturm bedroht durch Angst, Not und Gefahr, Verzweiflung, Hoffnung, Kampf und Sieg, so fährt es Jahr um Jahr. Und immer wieder fragt man sich: Wird denn das Schiff bestehn? Erreicht es wohl das große Ziel? Wird es nicht untergehn? Bleibe bei uns, Herr! Bleibe bei uns, Herr, denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer. O bleibe bei uns, Herr!“ EG 612

Das Schiff , das sich Gemeinde nennt, steht für Schutz  und Geborgenheit und Halt in einer Lebenswirklichkeit, die so stürmisch, aufgewühlt wellig und gefahrvoll sein kann wie das offene Meer. Menschliche Urängste werden angesprochen: wer fürchtet sich nicht vor diesem Gefühl des völligen Ausgeliefert-Seins! Das Bild von der schaukelnden Nussschale, die im weiten Meer treibt, steigt in mir hoch. Und auch Jesus fällt mir ein, wie er die Ängste der Jünger bändigt, als er dem Sturm befiehlt zu schweigen und dadurch den Wellengang beruhigt. Die Jünger staunen und können die Kraft und Wirkmacht, die Jesus hat, nicht anders in Worte fassen, als durch diese Wundergeschichte. Dass da ein Halt ist, der meine Ängste bannt: was für eine Hoffnung! Gerade auf einem Friedhof! „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit. Das Ziel, das ihm die Richtung weist, heißt Gottes Ewigkeit. Und wenn uns Einsamkeit bedroht, wenn Angst uns überfällt: Viel Freunde sind mit unterwegs auf gleichen Kurs gestellt. Das gibt uns wieder neuen Mut, wir sind nicht mehr allein. So läuft das Schiff nach langer Fahrt in Gottes Hafen ein. Bleibe bei uns, Herr! Bleibe bei uns, Herr, denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer. O bleibe bei uns, Herr!“(Martin Gotthard Schneider, 1963) 

Das Kirchenschiff ist architektonisch nur aus Steinen gebaut, aber die Kirche, das lebendige Innere in diesem Schiff, das sind die Menschen , die dort ihren Glauben teilen und feiern! Im Kirchenschiff ist man nie allein: Generationen von Menschen (vorausgesetzt das Gebäude hat ein bestimmtes Alter) haben vor mir hier gebetet, geweint, dankbar ein Kind zur Taufe getragen, oder sich das Ja-Wort gegeben für ein Leben zu Zweit. Wenn unsere Kirchenschiffe erzählen könnten! Das wären Geschichten bunt wie das Leben und von unserem guten Zusammengehören mit Gott!

Und die Gemeinschaft mit ihm hört auch im Tod nicht auf! Das Schiff, das die Kirche ist umfasst Raum und Zeit! Das Schiff, das die Kirche ist, hat schon soooo vielen Menschen Zuflucht, Schutz und Unterschlupf in Not gewährt. Seit jeher steht das Kirchenschiff auch für Asyl!
Und wer im Leben mal stürmische Zeiten z.B. eine Pleite oder einen Vertrauensbruch erlebt, der erzählt dann auch bildlich vom Schiffbruch, den er oder sie erlebt hat.

Auch in der vorchristlichen mythologischen Welt gibt es gerade auf der Schwelle zum Tod das Bild vom Schiff, genauer von einer Fähre:
Entsprechend der Sage stellt der Fluss Styx die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich Hades dar. Die Seelen der Toten werden von Charon, dem Fährmann, über den Fluss geschifft. Damit sie den Fährmann Charon bezahlen konnten, wurde den Toten eine Münze (Obolus) unter die Zunge gelegt und somit in den Tod mitgegeben. Verstorbene, denen diese Münze nicht mitgegeben wurde, mussten die Ewigkeit am Ufer des Flusses verbringen, was das Begräbnis und die ordentliche Totenweihe außerordentlich wichtig machte.

Bei allen Unterschieden der Sitten und Gebräuche: Damals wie heute haben die Menschen ein Gespür dafür, wie wichtig und sinnvoll eine würdige Trauer- und Abschiedskultur ist. Und wer sich schwer tut mit der Trauer, mit Fragen oder Schuldgefühlen nicht fertig wird, dem steht die Beratungstelle der Hamburger Gesundheitshilfe zur Verfügung. Die hilft durch die Trauer, so wie der Fährmann über den Styx und heißt deshalb auch: CHARON (www.charon-hamburg.de).

Kommentare zum Beitrag

Kommentieren Sie

Name:
E-Mail (wird nicht veröffentlicht):
Kommentar: