Gastbeitrag zum Thema „Zeit“ von Dr. Hella Lemke, Hospizpastorin des Kirchenkreises Hamburg Ost

Die Zeit ist ein Stoff, der immer wieder Staunen lässt: Manchmal vergeht sie wie im Fluge. Kaum sind wir losgefahren ist der Urlaub schon wieder vorbei. Gerade erst ……haben wir den ersten Geburtstag gefeiert, da kommt der Enkel schon aus der Schule! Und so manches Mal da schleicht die Zeit – die mündliche Prüfung will nicht enden, die Trennung vom geliebten Menschen dauert ewig.
Zeit läuft, fließt, zerrinnt wie Sand zwischen den Fingern. Sie schleicht oder rennt. Zeit ist Geld, Zeit ist kostbar oder langweilig, relativ oder unfassbar. Sie ist bleiern oder schillernd.

Es kann traurig sein, dass ich die Zeit nicht festhalten kann, den Urlaub, die Festtage, die Zeit als die Kinder klein waren … dass diese Zeiten so kurz sind und vergehen.

Andererseits kann ich es auch als tröstlich erfahren, dass schwere Zeiten vorbeigehen und nicht ewig dauern: Der Termin beim Zahnarzt, ein unpassender Besuch, Schmerz, Tränen, Trauer.

Die verbleibende Zeit ist im Hospiz häufig viel zu kurz, doch sie kann auch lang werden. Die Rückschau auf die Lebenszeit kann vieles klären, doch sie kann auch sehr schmerzen.

Zeit tut vieles, aber eines nie: Stehen. Und doch findet sich genau dieses Wort im 31. Psalm.

Ich aber, Herr, hoffe auf dich
und spreche: Du bist mein Gott!
Meine Zeit steht in deinen Händen.
Psalm 31,15+16

Meine Zeit steht.
Dieses Wort widerspricht aller menschlichen Erfahrung auf dieser Welt. Hier schreitet die Zeit ständig voran.
Dieses Psalmwort ist offenbar keine Beschreibung irdischer Vorgänge, sondern ein Bekenntnis, ein Hoffnungswort, ein Glaubenssatz:

Meine Zeit steht.
Meine Lebenszeit hier auf Erden ist gemeint,
meine Zeit, die in Ewigkeit sein wird, von der ich noch gar nichts ahne,
aber auch die Zeit, die ich schon vergessen habe,
Momente an die ich mich gar nicht mehr erinnere,
Zeiten, die ich mit niemandem mehr teilen kann,
da alle, die dabei waren nicht mehr bei mir sind.

Meine Zeit steht in deinen Händen.
Im Psalm höre ich von der Hoffnung, dass meine vergehende Zeit nicht verloren und vergessen ist. Sie ist aufgehoben und geborgen in Gottes Hand: Jeder Moment.

Und das gilt auch für jeden Moment, in dem hier im Diakoniehospiz gelebt und gestaltet, geweint und gelitten, gehofft und gebetet und gestorben wurde.
Und dort, in Gottes Händen, sind alle diese Momente gut aufgehoben. Darauf dürfen auch wir heute vertrauen, so wie der Psalmbeter vor vielen Jahren.

Die Zeit darf vergangen sein. Ich brauche sie nicht festhalten, denn da ist ein anderer, der sie hält.
Die Zeit darf kommen und voran schreiten. Ich brauche nicht alles wissen und planen, denn da ist ein anderer, der diese Zeit schon kennt.
Die Zeit darf sein. Ich brauche sie nicht auspressen und bedrängen, denn sie ist wunderbar geborgen in Gottes Hand.

Pastorin Dr. Hella Lemke,
Ev.-Luth. Seelsorgerin im Diakonie-Hospiz

Zuerst veröffentlicht als geistlicher Impuls im Rundbrief / Frühjahr 2018/ Diakonie-Hospiz Volksdorf

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