Das letzte Ma(h)l

Frau K. kommt -fast- regelmäßig zum Trostmoment. Am 16. März ist sie die Einzige, so ergibt sich ein intensives Gespräch über einen Freund, der im Pflegeheim verstorben ist und nun wohl bald von Amts wegen bestattet werden wird. Bei Adam&Sophie geht das Gespräch weiter und ich esse den ersten Eisbecher dieses Jahres. „Bis zum nächsten Mal“ sagen wir beim Abschied und ich erinnere sie daran, dass der 19. April das letzte Mal sein wird. Im Mai hab ich Urlaub und ab Juni bin ich in Rente! „Oja“ sagt sie, „das muss ich mir merken.“

Und dann kommt alles ganz anders!!

Das Corona-Virus verändert alles! Noch in Jahrzehnten werden wir davon erzählen: weißt du noch? Weißt du noch als die Geschäfte, Schulen und Kitas, Spiel- und Sportplätze  und Gotteshäuser geschlossen waren? Als Menschen in Altersheimen nicht besucht werden durften und zigtausende an Corvid-19 in Quarantäne starben, ohne dass jemand ihnen beim Sterben die Hand halten konnte? Sterbebegleitung als Gebet aus der Ferne – das gabs noch nie.

Kirchlich gesehen sind wir mitten in der Fastenzeit und genauso erlebe ich diese besondere Zeit:

Bis Anfang/Mitte März gestaltet sich mein Arbeitsalltag ganz normal. Trauercafè und Trauerfrühstück wechseln sich ab, der nächste Gottesdienst wird vorbereitet. Darüber hinaus bin ich sehr mit der nahen Zukunft beschäftigt. Meine Pensionierung steht bevor: letzte Treffen, letzte Veranstaltungen, so nehme ich mir vor, will ich besonders gestalten. Ich freu mich drauf. Rot sind sie im Kalender angestrichen: der letzte Gottesdienst am 5. April, der letzte Kirchengemeinderat an 7. April. Da will ich „einen ausgeben“! Die Spaziergänge auf dem Öjendorfer Friedhof sollen jetzt im Frühjahr wieder neu losgehen und geleichzeitig sind es die letzten beiden. Noch einmal will ich die Werbetrommel ordentlich rühren: der Zeitungsartikel dafür ist fertig im Rechner, ebenso mein Abschiedwort für den Gemeindebrief.

Dann kommt das große Fasten: alles fällt aus! Das letzte Mal ist gewesen – ohne dass es mir und den Teilnehmenden bewusst war! Trostmoment und Eisbecher mit Frau K. im März: das war unser Abschied. Schön wars eigentlich, unbeschwert, denn wir haben nicht gewusst, dass es unser letztes Mal war. Im Nachhinein erscheint vieles in neuem Licht: der letzte Gottesdienst? Das war ja schon am 1. März! Der letzte Konvent mit den Kolleg*innen? Das war sogar schon im Januar; nun kommen „nur“ noch Videokonferrenzen!

Eine Freundin erzählt, wie schön der Besuch bei ihren alten Eltern in MekPom war und plötzlich ist es der letzte Besuch auf lange Zeit. „Wer hätte das gedacht“ sagt sie, „dass das erstmal das letzte Wiedersehen war?!“

„An seinem 80. Geburtstag war er noch so fit und fröhlich! Was hatte er sich auf dieses Fest, besonders das 1. Urenkelchen, gefreut und plötzlich, 14 Tage später ist er tot!! Nie hätten wir gedacht, dass das unser letztes gemeinsames Geburtstagsfest war.“ – erzählen mir Trauernde im Trauergespräch.

Wie oft erleben wir ein letztes Mal, ohne zu wissen dass es das letzte Mal ist!? Und wenn wir es wüßten, würden wir es anders gestalten, erleben, die gemeinsame Zeit anders wertschätzen? Oder hält es sich die Waage: Unbeschwertheit gegen bewusster Abschied?

Manchmal liegt über dem Nicht-Wissen schon eine Ahnung, doch fassen kann ich das, was in der Luft liegt nicht. Am 16. März bestimmen die schlimmen Bilder und Nachrichten aus Italien schon die Tagesschau. Und danach gibt es immer einen Brennpunkt. Aber, dass es auch mich und meine Arbeit auf dem Friedhof soooo beeinträchtigen wird?! Nein, dieser Gedanke ist -noch- unvorstellbar!

Manchmal fasst Jemand die Wahrheit in klare Worte, „Ihre Freundin wird sterben, vielleicht noch 2,3 Monate“ und ich fasse es dennoch nicht.

Die Predigt für Palmarum (=5.April) beschäftigt mich auch dann noch als klar ist: diese Predigt werde ich nicht halten. Bei Markus im 14. Kapitel wird erzählt wie Jesus beim Abendessen mit seinen Freunden von einer namenlosen Frau mit kostbarem, duftenden Öl gesalbt wird. Alle sind entsetzt: diese Störung, diese intime Geste, das ist zuviel für die Jünger! Sie protestieren: „Was soll diese Verschwendung? Dieses Öl hätte man für mehr als dreihundert Silberstücke verkaufen und das Geld den Armen geben können!“
Doch Jesu antwortet auf diesen Vorwurf: „Lasst sie in Ruhe! Warum bringt ihr sie in Verlegenheit? Sie hat eine gute Tat an mir getan. Arme wird es immer bei euch geben und ihr könnt ihnen helfen, sooft ihr wollt. Aber mich habt ihr nicht mehr lange bei euch. Sie hat getan, was sie jetzt noch tun konnte: Sie hat meinen Körper im Voraus für das Begräbnis gesalbt.“

Da hat Jemand gespürt, geahnt: Jesus wird nicht mehr lange leben. Jetzt muss ich meine Chance nutzen, vielleicht ist es das letzte Mal. Ein paar Tage später kommt es tatsächlich zum letzten Mahl: am Pessach-Fest spricht Jesus von Verrat und seinem bevorstehenden Tod -allein die Jünger fassen es nicht! Zu unvorstellbar die Vorstellung, dass sie ihren Rabbi nicht wiedersehen! Noch nie habe ich mich dem Gründonnerstags-Geschehen so nahe gefühlt wie in dieser corona-verrückten Zeit. Hinterher erst merken: das war ja das letzte Mal, dass wir zusammensaßen! Genauso muss es den Jüngerinnen und Jüngern damals gegangen sein:  das war ja unser letztes Mahl mit IHM.

Nun bin ich gewissermaßen 2 Monate eher in den Zustand des Ruhestandes hinein geschliddert. Und hüte die Erinnerung an all die unbewussten letzten Male wie einen kostbaren Schatz.

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