Bucket List

„Do you know what a bucket list is?“
Diese Frage stellt mir Frau D.Junior sofort als ich signalisiere, dass wir unser Trauergespräch am Telefon auch auf Englisch führen können.
Ich hatte den Akzent bemerkt und dass ihr das Deutsche nicht ganz so leicht fiel. Erleichtert erzählt sie jetzt vom Sterben ihrer hochbetagten (92 Jahre) Mutter und dass alle Wünsche ihrer „Bucket List“ noch in den letzten 7 Jahren erfüllt worden sind. Fast alle. Einer ist übrig geblieben: noch einmal nach Dresden reisen und die restaurierte Frauenkirche sehen.
Ihr Leben hatte die Hamburgerin bis 2010 in England verbracht. Dort war sie 1953 mit dem 8jährigen Sohn nach der Hochzeit mit ihrem 2ten Ehemann hingezogen. Und dort wurde die Tochter geboren, mit der ich es jetzt zu tun habe.
Der Sohn lebt immer noch in London und spricht inzwischen gar kein Deutsch mehr. Die Familiensprache war immer Englisch. Auch in den letzten 7 Jahren, als Mutter und Tochter ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegten.
Heimat von Fr. D. Senior ist immer Deutschland geblieben, erzählt die Tochter, auch wenn jahrzehntelang England ihr Zuhause war.
Ich schmunzle über diese deutsche Wortwahl: wie schön dass man das kann, den Unterschied von Heimat und Zuhause ausdrücken!
Aber zurück nach HH wollte die alte Dame nie: lieber es so in Erinnerung behalten wie sie es in ihrem Herzen bewahrt hatte. Deshalb also Rheinland-Pfalz. Deshalb das Trauergespräch am Telefon.
Aber bestattet werden möchte die alte Dame selbstverständlich auf Ohlsdorf. Das stand ganz oben auf ihrer „Bucket List“. Gleich unter dem Wunsch, Zuhause zu sterben und nicht ins Krankenhaus zu müssen. Letzteres hat Gott ihr erfüllt, den Wunsch nach dem Bestattungsort erfüllen nun die Kinder, fliegen von London und Düsseldorf herbei. Nun liegt „Mum“ in Heimaterde. So wie ihre Eltern vor ihr (deren Grab schon lange abgelaufen ist!). Ein Leben ist zurückgekehrt in unser aller Ursprung, zu Gott, aber auch zu dem Ort, an dem das Herz verwurzelt war, trotz aller Kreuz und Quer-Lebenswege zwischen England und Deutschland. Selbstverständlich halte ich die Beisetzung zweisprachig, gebe dem Reichtum 2er Kulturen Raum, aber auch der Zerrissenheit eines liebenden Herzens. Und den „Kindern“ (immerhin 72 und 63 Jahre alt!) gebe ich eine Trauerarbeit mit auf den Weg: gemeinsam nach Dresden zu reisen und den letzten Wunsch von Mutters „Bucket List“zu erfüllen. Mit „Mum“ im Herzen und Gottvertrauen, dass sie mit dabei ist. Irgendwo. Irgendwie.
Und ich denke: das Leben schreibt genauso schöne Geschichten wie im Film und die ganze Heimfahrt muss ich an Morgan Freeman und Jack Nickolson denken in „Das Beste kommt zum Schluss“.

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