Andere Länder – andere Sitten IV: Bänke, die von Leben und Tod erzählen

Es gehört seit jeher zu meinen Urlaubserfahrungen in Groß Britannien, dass bei jedem Spaziergang, am Ufer der Themse oder im Park, wann immer  ich Lust auf eine Pause hatte (damals auch, um „eine zu rauchen“) die Bank, auf die ich mich setzte, eine Metallplakette an der Rückwand angeschraubt hatte. Als Jugendliche (fast jeden Sommer war ich zu Sprachferien in GB) achtete ich gar nicht drauf. Irgendwie ghörten die Plaketten immer dazu, aber sie sagten mir nichts. Erst zuhause fiel mir auf: hier hatten die Bänke keine solche Plaketten.

Als Erwachsene dann verstand ich: hier hatte Jemand ein Andenken an einen geliebten, verstorbenen Menschen gespendet. Aber immer noch ließen mich die Bänke mit ihren Plaketten ziemlich kalt. Ich nahm mir auch nicht die Zeit, sie gründlich zu lesen.

Jahre später lebte ich meinen Traum: ich lebte und arbeitete als Auslandspastorin in GB (in Glasgow/Schottland, um genau zu sein) und gründete hier Familie: 1992 wurde mein Sohn geboren. Bald war er ein „toddler“ (Kleinkind) und die Zeit, die wir auf Spielplätzen verbrachten wurde mehr und mehr. Er war kein typischer Junge, nicht wild und stürmisch, sondern mit viel Achtsamkeit, vorsichtig und bedacht eroberte er Schaukel, Wippe und Klettergerüst.

Und da traf es mich mit Wucht und berührte mein Herz: eine „Wackelente“ (wie ich sie auch von Deutschland her kannte) hatte auch so eine „Bankplakette“. Eltern erinnerten an ihre geliebte Tochter Emily, die mit nur 3 Jahren verstorben war! Warum?: ich wusste es nicht. Ich spürte nur: wie wunderbar, dass auf diesem Spielplatz jeder Mensch, sogar kleine Kinder schon mit dem Leben -wenn auch sowohl mit dem Tod- dieses besonderen Menschenlebens berührt wurden. Mein Sohn war noch zu klein, um Fragen zu stellen, aber am Rande bekam ich mit, dass andere Kinder ihre Eltern ausfragten: was steht auf der Plakette? Warum ist Emily tot? Hat sie genauso wie ich auf dieser Wackelente geschaukelt? Wo ist Emily jetzt? Und die Eltern gaben Antwort, so gut sie konnten. Vom Himmel war die Rede, manchmal auch von Gott, immer war dieses unbekannte kurze Leben von Emily im Mittelpunkt. Und wie kostbar unser Leben ist. Gerade wenn es nur so kurz sein darf. Ein Hauch von Auferstehung lag in der Luft, als diese Eltern mit ihren Kindern über Emily sprachen. Keine und keiner von uns kannte sie ja. Aber für einen Augenblick kam sie unseren Herzen ganz nah.

Danach bin ich nie wieder achtlos an so einer Plakette vorbei gegangen, egal wo sie angebracht war. Überall im öffentlichen Raum, konnte ich in GB solche Spuren von geliebten Menschen entdecken, die ich nicht kannte, aber die von ihren Angehörigen nicht vergessen waren. Es gehört zur britischen Trauerkultur einfach dazu, auf diesem Wege öffentlich an geliebte Menschen zu denken. Dabei heißt das nicht unbedingt, dass die ganze Bank gespendet ist: auch kommunale Parkbänke können zum Gedenkort für Trauer werden (natürlich muss der „local council“ sein Einverständnis geben). Manchmal wird auch eine ganze Bank gespendet, vielleicht am Lieblingsort des Verstorbenen, wo er oder sie immer mit dem Hund Gassi gegangen ist?! Inzwischen weiß ich diese britische Tradition sehr zu schätzen und wünschte mir, so etwas gäbe es in Deutschland auch!!

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